Auszug aus einem Interview mit Otto Brichacek über seine Flucht in die ČSR
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[...] Zwei Leute kommen, sagt der eine, der Direktor des Gefängnisses von Favoriten war dabei, dieselben, die mich verhaftet haben, „Also der Führer gibt sie frei.“ Jetzt habe ich irgendwie gedacht, jetzt kommt: „Aber wenn du...“, aber ich hab alles abgeleugnet, auch dort. Ich habe den unerfahrenen jungen Sozialdemokraten gespielt, der Dollfuß/Schuschnigg sozusagen Widerstand geleistet hat, hab aber nichts erzählt von meiner echten Tätigkeit. 1Note 1 : Neben seiner Mitgliedschaft in der SAJDÖ und der KPÖ engagierte sich Otto Brichacek im Republikanischen Schutzbund und der Gewerkschaft; ab 1932 im KJV (Kommunistischer Jugendverband).Die haben was anderes gesagt: „Wenn sie einmal noch in unsere Hände kommen...“, und haben mich auslassen. Ich wohne ja nicht weit vom Gefangenenhaus in Favoriten. Haben sie mir jovial noch eine Straßenbahnkarte gegeben, sag ich: „Nein, ich wohn da ums Eck sozusagen“, und war weg und war illegal dann in Österreich, in Wien. Zwei Wochen später haben sie mich wieder gesucht, und zwar einfach, weil sie Material gefunden haben. Das war die nächste Sorge, weil ich war ja schon vorher eingesperrt, und da gibt es die Materialien dort - das kann ich ein anderes Mal erzählen, warum ich glaube, dass die Materialien nicht gefunden worden sind - oder vielleicht gleich kurz gesagt: Ich habe den Namen vergessen, vielleicht fällt er mir wieder ein, der war Referent im Polizeipräsidium für Kommunisten und Nazis, und der ist auch dann von den Nazis erschlagen worden, der Polizeibeamte. Ich habe den Namen jetzt nicht im Kopf. Er wird mir einfallen. Und der hat Materialien verschwinden lassen über die Nazis. Das war das Gefährliche. Ich nehme an, dass Materialien auch über Kommunisten verschwunden sind, dass er gar nicht so viel Zeit gehabt hat und daher es längerer Zeit bedurft hat, eben zwei bis drei Monate, bis man bestimmte Dinge von mir gefunden hat. Und warum bin ich freigegangen auch? Warum sind die zwei gekommen? Mein Vater hat keine Ruhe gelassen. Der hat bombardiert die Behörden, die Nazi-Behörden, Gefangenenhaus, Gestapo etc., und zwar hat er gesagt: „Es ist Folgendes: Ich bin entlassen worden mit meiner Frau im Februar 34 unter Dollfuß, Schuschnigg, jetzt haben sie mir die Arbeit gegeben. Mein Sohn ist gesessen mit Hamburger, der ist ein großer Mann geworden. Jetzt kommen sie und sperren ihn wieder ein. Wann hört das auf?“ Auf dieser Motivation, möchte ich sagen, und auf dieser Linie der Barmherzigkeit soll eigentlich eine Ruhe sein. So könnte ich sagen, hat mir der Vater tatsächlich das Leben gerettet. Das ist auch ein bisschen bestätigt worden durch die Dokumente, die ich gefunden habe. Ich habe dann einige Wochen noch in Österreich gelebt illegal mit meiner damaligen Verlobten, späteren Frau. Da ist mir auch was Furchtbares passiert. Wir sind in ein Kino am Sonntag gegangen, und ich wusste schon, dass man mich sucht, und hab mir aus einer blöden Überlegung ein Hakenkreuz aufgesteckt. Wir haben in der sogenannten Polizeisiedlung in Inzersdorf gelebt bei Freunden. Und da wollte ich sozusagen den Freunden dort - erstens einmal mich selber sichern und die Freunde, und justament in dem Kino zwei Genossen und die sehen mich dort. Das war ein Schock. Ich glaube, es war richtig, dass ich das gemacht habe, weil es ist um Leben und Tod gegangen. Und dann hat mich die Partei sozusagen rausgefischt und mir den Auftrag gegeben und mir die Hilfe angeboten, über die Tschechoslowakei aus Österreich zu emigrieren. Das ist gegangen. Das war auch dramatisch. In der Nacht sind wir über die Grenze gegangen, schon auf tschechischem Boden waren... Ich habe allerdings, das muss ich noch sagen, wie ich unter Hitler eingesperrt war, habe ich den Danneberg in meiner Zelle erlebt und hab gewusst, der ist nach Lundenburg gefahren mit dem Zug, da war er schon auf tschechischem Boden, und wurde von tschechischen Beamten – Innenminister Černy, Sozialdemokrat, hat den Auftrag gegeben, die Flüchtlinge alle zurückschicken, wurde zurückgeschickt, ist später im KZ zugrunde gegangen. Das wusste ich schon. Und ich habe mich noch gewundert, so ein Großer, den habe ich damals als ganz großen Politiker bis zum 32er Jahr angesehen, ist so dumm und lässt sich zurückschicken. Ich habe mir vorgenommen, ich weiß, was ich tue, wenn ich zurückgeschickt werde. Tatsächlich ist so was Ähnliches passiert. Wir sind in der Nacht über die Grenze, sind von tschechischen Behörden angehalten worden, haben übernachten können in so einem Haus, das an der Grenze dort gelegen ist, älterer Herr mit zwei jungen Patrouillen. Und der hat uns Kaffee gegeben, hat uns bewirtet, und dann hat er uns gesagt: „Am nächsten Tag schicken wir sie zurück.“ Sag ich: „Das ist ganz ausgeschlossen. Sie können und nicht zurückschicken.“ „Doch. Wir haben den Auftrag.“ „Das ist unbarmherzig.“ Sag ich: „Schauen sie, das geht ja gar nicht. Erstens ich kratze sie, ich zwicke sie, ich raufe, ich schimpfe auf die Republik.“ Und ich wusste, da gibt es das Republikschutzgesetz unter Benesch. Da sind sie sehr empfindlich, die Tschechen, wenn man ihre Republik verdammt. Sag ich: „Dann müssen sie mich einsperren. Da sind sie gezwungen sozusagen.“ Das hätte ich wirklich gemacht. Wenn ich sitze, nehme ich Verbindung auf mit den Genossen in der Tschechoslowakei und komm irgendwie raus. Am nächsten Tag hat er uns auch tatsächlich zur Grenze befördert, hat aber noch, das habe ich beobachtet, den zwei jungen einen anderen Auftrag gegeben, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Er ist an die Grenze gegangen, hat gesagt: „Da links geht der Weg nach Österreich. Da gehen sie runter. Rechts, da kommen sie an die Brücke an einem Wald vorbei“, das hat er genauer erklärt, „da ist der Weg ist die Tschechoslowakei, da gehen sie nicht.“ Hat sich umgedreht, ist weggegangen, und wir sind den beschriebenen Weg gegangen, sind nach Brünn gekommen und dann nach Prag zur Parteileitung. Dort haben wir einige Wochen, einige Monate gelebt. Dann war ja München 1938. Wir waren illegal in Prag, mit meiner damaligen Freundin. Da hat es natürlich nur gegeben, den Auftrag hat die Partei gegeben, dass wir uns legalisieren. Nach Brünn zurück, dort melden bei der Polizei, dass wir Flüchtlinge sind; das bedeutet eine Strafe. Meine Frau hat nur einen Verweis bekommen, ich habe damals vier oder fünf Wochen Gefängnis, und zwar am Spielberg, oben in den Kasematten vom Spielberg bekommen. Das fürchterlichste Gefängnis, das es gibt. Weil die tschechische Regierung und das Militär hat sich gerüstet, um Hitler abzuwehren, die Sudentendeutschen haben dagegen provoziert, und wir wären da in die Mühlen gekommen, von den einen waren wir die Kommunisten, von den anderen hätten wir leicht durch unsere Sprache und unser Auftreten als Sudetendeutsche... Daher war die Legalisierung unbedingt wichtig. Die habe ich bekommen. Bin dort die drei oder fünf Wochen gesessen. Und dann war ja ein Teil der Tschechoslowakei besetzt, also wir konnten nicht mehr raus, nicht nach Österreich, nicht nach Ungarn, der einzige Weg war über Polen. Und da hat die Parteileitung uns gefragt, wohin wollen wir. Das war, glaube ich, Schweden noch als zweites. Sie haben erklärt, wohin man uns schickt, was das nächste ist. Da war ein Zug mit 57 Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei, aus deutschen und österreichischen Antifaschisten, Sozialdemokraten, Kommunisten, die Hitler angefordert hat, Auslieferung. Daher sind die als erstes losgegangen in einem Zug. Dann hat man groß aufgemacht, in den Zeitungen gewesen in Prag etc. Darunter waren ich und meine Frau. Nur hat man mir gesagt eine Stunde vor Abfahrt des Zuges, ich habe kein Visum, durch Polen zu reisen. Alle anderen haben das Visum gehabt, ich habe keines gehabt. Mir ist sowieso nichts übriggeblieben, ich muss über Polen, das ist das einzige, ist besser wie Deutschland und Österreich oder Ungarn, weil da komm ich noch tiefer rein. Es war dann klar warum. Ich war auf der Leninschule. Da sind wir durch Polen durchgefahren sozusagen, und mein Pass wurde sinnigerweise, während ich schön Leninschüler war, verwendet, um andere Reisen zu machen, also von der Kommunistischen Jugendinternationale sind Instrukteure, Politiker, Mitglieder gefahren mit meinem Pass. Das war natürlich alles drinnen, ich habe keinen anderen gehabt. Also habe ich gesagt, ich übernehme das Risiko. Ich weiß nicht, wieviel das war, das habe ich vollkommen vergessen. Ich habe einen Pass an der Grenze zwischen Tschechoslowakei/Polen, habe ich einen Geldschein reingelegt. Das wusste ich schon, wie das in Polen geht. Und bin also auch so durchgekommen. Wir sind dann rauf nach Dingen, dort mit dem großen Schiff - wie hieß der Präsident damals, der polnische? Piłsudski. Das große Schiff hatte, glaube ich, 15 Registertonnen. Sind wir mit meiner Frau und den anderen 56 Leuten nach Dänemark, Esberg, mit dem Schiff von Esberg nach England. Da haben sich noch sinnigerweise zwei junge Männer angehängt, denen man von weitem angesehen hat, dass sie von der Gestapo sind. Die sind dann sogar in unser Hotel in Esberg mitgekommen, wollten dort auch übernachten. Da haben wir aber dann gebeten, sie sollen ihre Koffer aufmachen. In den Koffern haben sie nichts drinnen gehabt, nur einen Pyjama, also das war keine echte Reise. Die haben uns dann begleitet bis England, Harwich, glaube ich, sind wir angekommen, weil ich in den Papieren nachgesehen hab. Dort haben wir sie gemeldet bei der dortigen Polizei. Wahrscheinlich hat man gar nichts gemacht. Und so bin ich nach England gekommen, ohne die englische Sprache zu kennen, nicht einmal ein Wort. Ich habe in der Schule etwas französisch, schulfranzösisch gekannt, aber natürlich kein Englisch. Jetzt müssen Sie sich vorstellen, das war die Zeit, in der unheimlich viel vor sich gegangen ist. Tschechoslowakei ganz besetzt, am Vorabend des Krieges, kann man sagen. Und ich spreche kein Englisch, lese kein Englisch und bin nicht sehr begabt in Sprachen, das muss ich sagen. Aber ich war damals in den Kinos, die haben sowieso immer zwei Doppelfilme gehabt, zwei echte Doppelfilme, zwei große Doppelfilme, nicht so ein Anhängsel, das haben sie zusätzlich gehabt. Man konnte drinnen bleiben stundenlang. Ich einmal dort hinein in das Kino, zugehört. Lesen war leichter wie verstehen. Also langsam habe ich es bekommen. Unter den Emigranten - das werden Sie wahrscheinlich im Laufe Ihrer Tätigkeit draufgekommen sein - hat es das Czech Refugee Committee gegeben. Ich sag immer, das war der Adel der Flüchtlinge, weil da war das Geld aus der tschechoslowakischen Republik, und aus schlechtem Gewissen der Engländer, der englischen Politiker, hat man die tschechischen Refugee-Mitglieder besonders gut behandelt. Da war die kommunistische Gruppe Winterberg. B: Zu der habe ich gehört, das war unsere Gruppe sozusagen. Dazu haben meine Frau und ich gehört. Das war der Adel, also wir haben - ich weiß nicht, wieviel es war, aber damals haben wir verhältnismäßig viel bekommen, gut behandelt worden. I: Und Sie waren auch offiziell politischer Flüchtling. B: War politischer Flüchtling, alles es war schon angenehmer. Ich sag immer, es war der Adel. Zufällig, weil wir dort in der Tschechoslowakei waren, haben wir das bekommen. Und ich muss sagen, eine Hilfsbereitschaft der Engländer, die man ungeheuer groß schätzen muss. [...]
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VollbildansichtQuellenverweise
- Updated 5 years ago
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
- DOEW
- DÖW
- Documentation Centre of Austrian Resistance
- Austria
- Altes Rathaus, Wipplingerstr. 6-8
- Wien
- Updated 2 years ago
Erzählte Geschichte
- Oral Interviews with Witnesses
- Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
- 6204
- German
- Approx. 2.800 tape cassettes
- Updated 1 year ago