Eidesstattliche Erklärung des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde in Frauenkirchen betreffend Vertreibung der Jüdinnen und Juden

Metadaten

Ausführlicher Bericht über antijüdische Schikanen direkt nach dem Anschluss und den Zwang durch die Gestapo, illegal das Land zu verlassen sowie über die Flucht vieler Familien in die Tschechoslowakei.

Transkription

  1. Deutsch

Am 11.3.1938 in der Nacht von Freitag zu Schabbat aber wurden wir durch den Einzug der Nazis eines anderen belehrt. Zunaechst erschreckte man uns durch einwerfen saemtlicher Fensterscheiben in unseren Wohnungen und Geschaeften. Man raubte und pluenderte, errichtete Volkskuechen, um von den gestohlenen Lebensmitteln die arme Bevoelkerung umsonst zu speisen. Diese Wohltaetigkeitseinrichtung bestand aber nur durch einige Tage. Das Juden-Eigentum war bald aufgegessen, weil einige Nazi-Wohltaeter auf Kosten der Armen ihre Taschen und Speisekammern gut fuellten.

Nach kurzer Zeit hatte die Gestapo in Eisenstadt ihren Sitz eroeffnet und ihre Hand sofort auf alle Lebensadern gelegt. Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden wurde untersagt. Der Reiseverkehr war nur mit einem Passierschein der Polizei gestattet. Die Geschaefte der Juden wurden abgeschlossen und versiegelt.

Am Schabbat Nachmittag, kurz nach der Machtuebernahme in Oesterreich, wurden die 10 wohlhabendsten Familien, d. h. auch die Frauen, verhaftet. Geld und Wertsachen hatte die Gestapo diesen Personen schon vor der Verhaftung geraubt. Am folgenden Tag zwang man die Verhafteten durch Schlaege zur Unterschrift eines Revers, wonach ihr Hab und Gut zum Staatseigentum erklaert wurde und sie sich verpflichteten, innerhalb 48 Stunden das Land zu verlassen. Die meisten dieser Familien haben sich nach der Tschechei gerettet. [...] Nach kurzer Zeit hat man alle Juden der Gemeinde versammelt, ihnen alles bewegliche Gut geraubt oder durch Schlaege erpresst und sie zur Verpflichtung gezwungen, innerhalb 14 Tagen das Staatsgebiet zu verlassen. Da nach den damaligen Verhaeltnissen es undurchfuehrbar war, so schnell die Ausreisegenehmigung zu erhalten – alle Laender hatten fuer die Einwanderung von Juden die Grenzen geschlossen – ist die Gestapo alle 14 Tage erschienen und hat den maennlichen Mitgliedern der Gemeinde durch Faustschlaege, Knueppelhiebe und Fusstritte eine derartige Furcht ein eingefloesst, dass sie in alle Wuensche einwilligten. Die Gestapo trieb uns dazu, das Land auf ungesetzlichem Wege zu verlassen. Die Drangsalierungen nahmen ein solches Ausmass an, wie wir es uns nie vorgestellt haetten.