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Protokoll

Aufgenommen mit Mořic Reiss am 3. 6. 1938 bei der staatlichen Polizeibehörde in Znaim, geb. am 10. 3. 1884 in Wiltschnau bei Ungar. Brod, heimatberechtigt in Ungarisch Brod, Eltern: Hermann und Betty, geb. Kohnová, Nationalität tschechisch, jüdischer Rel., ungedient, wohlhabend, nicht vorbestraft, zuletzt wohnhaft in Wien II. Reisbrückenstrasse 44, der nach der Belehrung zur Wahrheit zu Protokoll gibt:

In Wien bin ich schon seit dem J. 1909 und hatte dort ein Geschäft für Gemischtwaren etabliert. Nach dem Umsturz vom 11. 3. 1938 wurden wir zwar etwa 1 ½ Monate in Ruhe gelassen, aber im letzten Monat war es nicht zum Aushalten. Zu uns ins Geschäft kamen nur Tschechen und darum wurde ich verfolgt. Angehörige der SS und der SA kamen zu mir und suchten einen Vorwand. Sie warfen mir vor, meine Geschäftsbücher seien nicht in Ordnung, und dass ich nicht korrekt Steuern zahle. Ich bekam einen Kommissar ins Geschäft und musste ihm Waren und Geld aushändigen, im Ganzen etwa ein Betrag von 65.000 Sch. ohne dass mir eine Quittung ausgehändigt wurde und nur auf meine Bitte gaben sie mir etwa 200 Mark, damit ich etwas zum Leben hatte. Dann war wieder ein wenig Ruhe. Etwa nach einer Woche kamen sie wieder in meine Wohnung, brachten alles durcheinander, nahmen mir Dokumente und alle Schriftstücke, auch die Schallplatten mit tschechischen Liedern, alles erneut ohne Quittung. In dieser Woche, am Montag, den 30. 5. kamen sie erneut in die Wohnung, nahmen alles mit, auch den Pass. Also ging ich am Dienstag zur tschechoslowakischen Botschaft und erhielt von Dr. Černý eine Empfehlung für das tschechoslowakische Konsulat. Als ich aber nach Hause kam, sagte mir meine Frau, dass ihr angedroht worden war, man würde uns einsperren. Darum bestellte ich sofort ein Taxi, fuhr mit meiner Familie zur Grenze und ging aus Angst um das Leben heimlich hinüber auf tschechoslowakisches Gebiet.

Ab dem 20. Mai war es in Wien nicht zum Aushalten und niemand wagte es in Wien auf der Straße tschechisch zu sprechen.